Kern |
Ein Komet zerlegt sich – und stürzt ab
Ein Kometenspektakel war völlig einmalig in der Jahrtausende langen Geschichte der Kometenbeobachtung: In den 1960-er Jahren war ein rund 4km großer Kometenkern in eine elliptische Bahn um den Jupiter gerutscht, für den er zu einem Quasi-Mond wurde – bis er 1992 dem Planeten so nahe kam, dass ihn Gezeitenkräfte in Stücke rissen. Damit ist gemeint, dass sich die Schwerkraftwirkung zwischen der jupiternahen und jupiterfernen Seite des Kerns so stark unterschied, dass der Kern in seine einzelnen Bestandteile zerlegt wurde: Nun zog er in Gestalt von 21 Fragmenten von 50m bis 1km Durchmesser um den Jupiter und wurde schließlich 1993 dank des beim Zerbrechen frei gewordenen Staubs als Shoemaker-Levy 9 entdeckt.
Als Kette einzelner Kometen – jeder mit einem eigenen kleinen Staubschweif – war er nun zu bestaunen. Aber nicht lange, denn bereits im Juli 1994 stürzten sämtliche Fragmente in den Gasplaneten! Mit erstaunlichen Folgen: Nach dem explosiven Eindringen in die Atmosphäre Jupiters stiegen jeweils große Pilze in die Höhe, die sich als bis zu 12000km große dunkle Wolken auf die Planetenatmosphäre legten. Noch Monate lang blieben sie sichtbar.
Das Wissen über die Kometenkerne ist durch die Vorbeiflüge von inzwischen sieben Raumsonden an fünf von ihnen revolutioniert worden. Allein drei – zwei sowjetische Vegas und der europäische Giotto – wagten sich im März 1986 nahe an den schon sehr aktiven Kern des Halleyschen Kometen heran und erkannten ihn als verblüffend große Erdnuss (15km × 8km × 8km) von extrem dunkler Farbe. Nur an wenigen Stellen brachen Gasfontänen – inklusive mitgerissenen Staubs – aus ihm hervor: 15 Jahre lang sollte dieser Anblick die Vorstellung von Kometenkernen bestimmen, denn erst in diesem Jahrhunderten folgten, dann allerdings in rascher Folge, die nächsten Besuche, die allesamt von Sonden der amerikanischen NASA absolviert wurden (Giotto besuchte zwar 1992 noch einen weiteren Kometen, die Kamera war aber bei Halley unbrauchbar geworden).
Die mehr experimentelle als wissenschaftliche Sonde Deep Space One fand den Kern des Kometen 19P/Borrelly 2001 abermals als sehr lang gestreckten Körper vor, 8km× 4km × 4km groß, während sich der Kern von 81P/Wild der Sonde Stardust 2004 als viel runder (5,5km × 4km × 3,3km) darbot. Stardust war auch die erste Mission, die Proben eines Kometen zur Erde schaffte, allerdings nicht vom Kern, sondern Staub aus der Koma: Eine Kapsel mit dem wertvollen Material landete 2006 in Utah. Der nächste Besuch eines Kometenkerns ging mit einem Knalleffekt einher: Deep Impact ließ 2005 eine große Kupfermasse in 9P/Tempel (7,6km × 6km × 4,9km) krachen, was zu einer Staubwolke und einem kleinen Krater führte – den 2011 wiederum das Mutterschiff von Stardust inspizieren konnte, das erste Mal, dass derselbe Kometenkern zweimal in größerem zeitlichem Abstand besucht wurde. Das Mutterschiff von Deep Impact wiederum hatte bereits 2010 die Gelegenheit, mit 103P/Hartley (2,2km × 0,5km) einen weiteren Kometenkern zu besuchen.
Jeder der von nahem besehenen Kometenkerne hat sich als eine erstaunlich komplexe Welt für sich entpuppt, und die Raumsonden haben noch nicht annähernd ihre ganze Vielfalt zu Gesicht bekommen: Manche Kometenkerne, die in großer Zahl in die Sonne stürzen, sind keine 50 Meter groß, Ausnahmekometen – wie Hale-Bopp 1997, der letzte wirklich auffällige Komet an unserem Himmel – dagegen 50km. Der aus dem Kuipergürtel stammende 95P/Chiron bringt es sogar auf 200km, kommt der Sonne allerdings nie nahe und zeigt deswegen auch nur geringe Aktivität. Die Oberflächen der Kometenkerne offenbarten den Sonden Ebenen, Hügel, Senken und Krater, die ebenso durch Einschläge wie auch als Folge der Ausgasungen entstanden sein können. Der Anteil der Kernoberfläche, der sich erkennbar an der Kometenaktivität beteiligt, ist auch nicht immer gleich: Die 10%, die beim Halleyschen Kern festgestellt wurden, sind nur ein grober Richtwert. Den Rest der Oberflächen bedeckt eine Kruste.
Über das Innenleben von Kometenkernen allerdings lassen sich bislang nur Vermutungen anstellen: Nicht nur das bereitwillige Zerbrechen des Kerns von D/1993 F2 (Shoemaker-Levy 9) weist auf eine Zusammensetzung aus mehreren Unterkernen hin, die von den gefrorenen Gasen nur mäßig gut zusammen gehalten werden. Gestaltmerkmale mehrerer der von Sonden besuchten Kerne deuten ebenfalls darauf hin, und immer wieder wird das Abbrechen von Fragmenten aus nicht einmal besonders aktiven Kometenkernen beobachtet. Andere Kerne zerbrechen in mehrere Teile oder lösen sich gar vollständig auf – was mitunter einen Kometen erst zu einer großen, aber kurzlebigen Erscheinung werden lässt, weil dabei auch viel Staub mit einem Schlag frei wird.